[28.06.2024] In einer zukunftsweisenden Publikation in der neuesten Ausgabe von „Frontiers in Psychology“ geht ein Forscherteam aus Marburg, Gießen und Essen der Frage nach, wie die Behandlungserwartung den Behandlungserfolg beeinflusst und wie die Homöopathie diese Effekte einsetzt. Das Team um den Klinischen Psychologen Prof. Winfried Rief, Universität Marburg, und die Neurologin Prof. Ulrike Bingel, Universitätsklinikum Essen, gehören zum überregionalen Sonderforschungsbereich (SFB) 289 „Treatment Expectation“, der Ende Mai 2024 weitere 15 Millionen Euro für eine 2. Förderphase von der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingeworben hat.
Erwartungen von Patientinnen und Patienten haben einen erheblichen Einfluss auf den Verlauf von Erkrankungen und die Wirksamkeit von Behandlungen. Diese Placebo- wie Nocebeoeffekte sind vielfach international in großen Studien belegt. Die Forschungsarbeiten des interdisziplinären SFB-Verbundes „Treatment Expectation“ zielen darauf ab, den Einfluss der Erwartung auf die Wirksamkeit medizinischer Behandlungen besser zu verstehen und diese Erkenntnisse zur Optimierung von Therapien zu nutzen.
Homöopathie wird häufig so dargestellt, als hätte es gar keine Wirkung, nur weil ein Effekt über den Placeboeffekt hinaus nicht nachgewiesen werden konnte. Globuli enthalten keine pharmakologisch aktiven Inhaltsstoffe, die eine Wirkung rational erklären könnten, dennoch berichten sowohl PatientInnen wie Homöopathen von positiven Effekten bei diversen Störungen. Wie lässt sich das erklären?
Placebo-Forschende wissen seit zwei Jahrzehnten, dass der Placeboeffekt an sich schon sehr mächtig sein kann. Nachgewiesen ist dies bei Schmerzen, Depression, Schuppenflechte, Asthma, Darmerkrankungen und vielen weiteren Erkrankungen sowie physiologischen Parametern wie Blutdruck, Blutzuckerspiegel, Lungen- und Immunfunktionen. Zudem können die Effekte unterschiedlich stark ausfallen kann, je nachdem, wie ein Arzt oder eine Ärztin die Behandlung dem zu Therapierenden erklärt, sie einbettet oder verabreicht. Am bedeutsamsten haben sich in Studien die Erwartungen der PatientInnen an die Behandlung herauskristallisiert.
Der Psychologische Psychotherapeut Dr. Marcel Wilhelm, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Marburg, beschreibt die Hintergründe für die Publikation: „Mit dem Artikel wollen wir aufzeigen, welche Mechanismen unserer Ansicht nach in der Homöopathie genutzt werden, sodass trotz fehlender Wirkstoffe Behandlungseffekte eintreten.“
„Wir brauchen keine Globuli, um die guten Seiten von homöopathischen Behandlungen zu nutzen“, bestätigt Prof. Ulrike Bingel, die Sprecherin des SFB 289 „Treatment Expectation“. Der Beitrag ist gleichzeitig ein Appell an die evidenzbasierte Medizin, diese psycho-neuro-biologischen Mechanismen systematisch in Behandlungskonzepte zu integrieren, um den Erfolg von Goldstandardtherapien zu verbessern. „Was in der Homöopathie besonders gut gemacht wird, ist Behandlungserwartungen zu optimieren, unter anderem durch eine empathische Kommunikation, deutlich mehr Zeit im Gespräch als bei konventionellen medizinischen Behandlungen, bestimmte Regeln für die Einnahme von Globuli und vieles mehr“, so Dr. Wilhelm. Das Autorenteam empfiehlt Kommunikation und Kontextfaktoren bei jeglicher Therapieoption stärker zu nutzen, um Therapierfolge zu fördern. „Wir brauchen eine wissenschaftlich fundierte Medizin, die diese Mechanismen nutzt, die wir aus der Placebo-Forschung kennen und die bei der Homöopathie eingesetzt werden“, fordert Prof. Winfried Rief, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Marburg und stellvertretender Sprecher des SFB 289.
Weitere Informationen: Dr. Marcel Wilhelm, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie der Philipps-Universität Marburg marcel.wilhelm@uni-marburg.de
Hier der Link zur Originalarbeit: https://www.frontiersin.org/journals/psychology/articles/10.3389/fpsyg.2...
Erfahren Sie mehr über Forschung des SFB/TRR 289 Treatment Expectation unter www.treatment-expectation.de, Youtube (www.youtube.com/@SFB-TRR_289), X (@sfb_trr289), Instagram und facebook
v.l. Prof'in Ulrike Bingel; Prof. Winfried Rief; Dr. Marcel Wilhelm